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Selig wurde 1993 gegründet und ist für ihren einzigartigen Mix von Nirvana, Led Zeppelin und den Black Crowes mit deutschen Texten bekannt. „German Grunge“ oder „Hippie Metal“ nannte es damals die Musikpresse. Nach einer Trennung im Jahr 1998 erfolgte 2008 überraschend die Wiedervereinigung. Reichlich viel passiert also. Im Interview mit dem Journalisten Reinhard Franke blickt Sänger Jan Plewka zurück. Gerade sind Selig auf Jubiläumstour. Das Motto:
Selig im Interview
Reinhard Franke: 30 Jahre Selig – was macht das mit Ihnen, Herr Plewka?
Jan Plewka: Es macht mich stolz und glücklich. Eine echt lange Zeit, obwohl man sagen muss, dass es eigentlich heißen muss „20 Jahre Selig“, weil wir zehn Jahre Pause hatten.
Aber es macht einen alt und jung auf eine besondere Art und Weise, weil 30 auch ein schönes Alter im Leben eines Menschen ist. Die Rolling Stones machen es uns allen vor, und ich glaube, wir werden noch älter als die Stones.
Es wird also keinen Zoff mehr in der Band geben?
Doch, das gehört dazu. Wie bei allen Beziehungen läuft es auch in einer Band nicht immer rund. Bei uns ist es so, dass wir alle vier Jahre eine große Krise haben. Dann fragen wir uns, ob wir weitermachen sollen oder nicht? Diese Krise hatten wir gerade hinter uns.
Davon handelt auch die neue Single „Neuanfang“ zum 30-jährigen Bandjubiläum. Der Song ist eigentlich ein offener Brief. Und jeder, der Band-Strukturen kennt, der weiß, dass es sowas überall gibt.
Nach den zehn Jahren Pause hatte sich Selig 2008 neu gefunden und regelmäßig Platten veröffentlicht. Warum entsteht dann doch wieder so eine Krise?
In einer guten Beziehung muss man zusammenwachsen und sich gegenseitig anfeuern. Bei vier Leuten in der Band ist es echt schwierig, gemeinsam zu wachsen. Der eine hat seine Interessen da, der andere dort. Das eine Ego ist mal größer, das andere mal kleiner.
Die Pandemie war natürlich auch schuld an unserer letzten Krise. Wir hatten Existenzängste. Dann knallt es halt mal, und es ist Sturm im Wasserglas. Man geht schließlich in sich, schreibt ein Lied, und dann herrscht bald auch wieder klare Sicht.
Gab es wirklich Existenzängste?
Ja, na klar. Platten verkauft man nicht mehr, alles wird gestreamt. Es werden auch nur noch einzelne Titel gehört und keine kompletten Alben mehr. Die Musik ist für alle da. Geld verdienst du nur noch mit Konzerten. Du lebst nur noch vom Livespielen.
Und ich bin nicht angetreten als Musiker, um Konzerte in halb leeren Hallen zu spielen vor Menschen mit Gesichtsschutz. Das war während der Pandemie nur die halbe Leidenschaft, die wir erleben konnten. Da denkst du schon nach und kriegst Existenzängste.
Wir werden noch älter als die Stones
Selig
Hat es Sie traurig gemacht, dass es erneut eine Krise gab? Eigentlich war die große zehnjährige Krise doch Lehre genug.
Damals war die Krise viel schlimmer. Da ging es um Leben und Tod. Hätten wir uns damals in diesem Grunge-Strudel weiter treiben lassen und wären in diesem Größenwahn weiter unterwegs gewesen, dann wäre es wirklich gefährlich geworden.
Das war damals eine sehr psychodelische Krise. Heute sind es Ehekrisen. Wir waren einmal bei einer Mediation und merkten in der einen Sitzung, dass uns das auch nichts bringt. Man muss einfach warten, bis sich der Sturm im Wasserglas wieder beruhigt hat.
Wenn man in einer Ehe ist und nicht miteinander kuscheln oder Sex haben kann, dann fehlt einem etwas. Und das kam in der Pandemie auch noch dazu. Wir konnten nicht das tun, was wir wirklich lieben und gut können, nämlich auf der Bühne stehen.
Da ging es um Leben und Tod
Selig
Seit der Wiedervereinigung haben Sie fünf Studioalben veröffentlicht. Diese Phase dauert jetzt länger als die erste. Wie würden Sie beide Phasen vergleichen?
Die erste Phase kommt mir tatsächlich länger vor, weil das war ein ganz anderer Planet als der, auf dem wir jetzt sind. Wir waren damals echt jung, und die Seele war noch gar nicht richtig bereit. MTV und VIVA haben uns verrückt gemacht.
Damals gab es auch noch kein Instagram, wo jeder Popstar war. Wir kamen in ein Restaurant, und alle haben über uns geredet. Oder alle haben die Klappe gehalten, als wir einen Raum betraten, in dem eine Party stattfand. Das macht etwas mit einem.
Diese Zeit war so extrem. Vier Jahre Studio, Promo, Tour. Vom kleinen Studio am Kiez bis nach New York ins Big Apple-Studio. Es ging nur bergauf, und es war klar, dass wir irgendwann abstürzen würden. Man kann das Leben vorwärts leben, aber nur rückwärts verstehen. Selig haben aus den Fehlern von einst gelernt. Wir machen Pausen und lassen uns Zeit, damit jeder seine Projekte nebenbei machen kann.

Gibt es eine ganz persönliche Selig-Geschichte?
Es gibt ein Konzert, an das wir alle gerne zurückdenken, das besonders persönlich für uns ist. Wir hatten uns 2008 gerade wiedervereint und spielten kostenlos vor 500.000 Menschen auf den Rheinwiesen. Das Wetter war gigantisch und als wir „Ohne Dich“ spielten, ging die Sonne unter.
Es war eine unglaubliche Magie
Selig
Alle haben unseren Hit gesungen. Unsere Single hieß damals „Wir werden uns wiedersehen“ und wir haben sie zum Schluss als Zugabe nochmal gespielt. Da waren wir etwa einen Meter über dem Boden. Das war das schönste Live-Erlebnis von Selig. Es war eine unglaubliche Magie. Weil wir neu zusammen waren und geheilt. Und die Leute kamen, um zu sehen, ob es wahr ist.
Und haben Sie eine Selig-Anekdote parat?
In Berlin gab es einen Club, der hatte im Keller eine Karaoka-Maschine. Da konntest du deine eigenen Songs singen. Und ich war schon immer ein leidenschaftlicher Karaoke-Sänger. Bei dieser Maschine gab es eine Punkteverteilung, wie gut man das Lied gesungen hat.
Und es gab auch Selig-Songs. Ich bin immer ziemlich früh in diesen Club rein, um mit mir alleine zu singen. Ich habe es aber nie auf die Hundert geschafft. Eines Tages kam dann so um neun eine Studenten-Gruppe rein und einer von ihnen rief: „Ihr glaubt es nicht, da sitzt der Selig-Sänger und singt seine eigenen Songs.“ Das war sehr lustig.

Welche Platte hätte sich die Band besser gespart?
Jedes Album hat seine absolute Berechtigung. Das, was wir machen, sind authentische Zeit-Dokumente. Wenn sie zu der Zeit nicht so geworden wären, würde es Selig in der Form gar nicht mehr geben.
Was macht Selig heute anders als früher?
Wir haben gelernt, dass man die anderen nicht verändern kann. In den 1990er Jahren gab es nur Selig. Wir versuchen auf der Bühne und beim Songwriting weiter alles zu geben. Der Schatz Selig soll weiter gut behandelt werden.
Wie groß ist die Sehnsucht nach einem zweiten „Ohne Dich“?
Unterbewusst wahrscheinlich ist sie groß. Der Titel ‘Ohne Dich’ kommt in unseren Gesprächen während der Plattenproduktion häufig vor.
Gibt es noch Ziele?
Eigentlich nicht. Wir haben überall gespielt. Unsere Ziele sind erwachsen geworden und haben sich darauf beschränkt, dass wir einfach gute Konzerte spielen und tolle Lieder schreiben wollen. Die Wut und der Größenwahn sind der Erfahrung und der Alters-Coolness gewichen. Ich möchte immer weiter auf der Bühne tanzen, als wäre es mein Zuhause.
Autor: Reinhard Franke
Selig: Auf Tour durch Deutschland
Selig
»JVA Open Air«
(5/5)
20:00 Uhr | Konzert in Vechta, JVA Vechta
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20:00 Uhr | Konzert in Karlsruhe (Baden), Kulturzentrum Tollhaus
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Surftipps zu Selig
- Website von Selig
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