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Ein Prost von Dr. Holger Birkholz (Foto: Rainer Sander)
Ein Prost von Dr. Holger Birkholz (Foto: Rainer Sander)

Aktionstheater Kassel feiert 40. Geburtstag im Kulturbahnhof

 

Kassel. Es ist das Geburtsjahr von Shakiara, Ronan Keating und Tom Hardy, zugleich das Jahr, in dem Charlie Chaplin, Elvis Presley, Ludwig Erhard, Arnold Bode, Hans Martin Schleyer und Andreas Baader diese Welt verlassen: 1977. Die Wirtschaft kommt nicht in Schwung, Terror fordert den Rechtsstaat heraus und Steve Jobs stellt den Computer „Apple II“ vor. Kinohits sind „Der Spion, der mich liebte“ (James Bond) oder „Bernard und Bianca“. „Rocky I“ wird mit drei Oscars zum besten Film des Jahres gekürt. Peter Zadek inszeniert in einer Bochumer Fabrik Shakespeares „Hamlet“.

In Kassel wird ein Bohrturm für den „Vertikalen Erdkilometer“ (Walter De Maria) auf dem Friedrichsplatz zum ersten Wahrzeichen der documenta 6. Die „Honigpumpe“ von Joseph Beuys oder der „Laserstrahl“ von Horst H. Baumann helfen beim Polarisieren. Kultur ist 1977 immer noch das, was im Feuilleton steht, was dort nicht steht, das ist „Szene“. Die „Stadttzeitung Kassel“ ist im zweiten Jahr alternatives Medium und Sprachrohr der Kasseler Szene. Sie veröffentlicht gemeinsam mit Horst Wackerbarth das vielbeachtete Buch „Kunst und Medien – Materialien zur d6“. „Szene“ wird in Deutschland zum Wort des Jahres gekürt.

Ohne Abendkleid und Schlips ins Theater

In dieser „Szene“ entsteht Kassels erstes Theater außerhalb etablierter Kulturlandschaften, für alle, die ohne Abendkleid und Schlips ins Theater gehen und das auch gerne dort hingeht, wo das Publikum schon ist. Es ist nicht leicht, dem Publikum mit Gedanken und Initialzündungen voraus zu eilen, wenn sich das Publikum selbst schon auf den Weg begeben hat. Das Aktionstheater Kassel hat es dennoch 40 Jahre lang geschafft, nicht den Trends hinterherzulaufen, nicht um Erfolg zu betteln und ohne festes Haus zu überleben. So konnte Dorothee Rhiemeier, Kassels Kulturamtsleiterin in ihrem Grußwort im Südflügel des Kulturbahnhofs, dem Dienstältesten „Freien Theater“ in der Region zum 40. Geburtstag gratulieren.
Helga und Werner Zülch haben in Zeiten von Leitkultur und postfaktischen Wahrheiten ganz gut überlebt, vermutlich mit den üblichen Existenzsorgen fast aller Künstler. Heute gibt es sehr wohl Förderer und Unterstützer. Neben der Stadt Kassel sind dies das Ministerium für Kunst und Kultur, die Fieseler Stiftung Kassel, die Kasseler Sparkasse, der Kasseler Kunstverein und zahlreiche andere, denen das Schauspielerehepaar danken durfte und wollte.

Jedem Programm seine eigenen Räume

Immer wieder suche sich das Aktionstheater neue Räume, jedes Programm erhält seine eigenen, so das realistische Resümee von Dr. Holger Birkholz, einst Künstler im Aktionstheater und heute „Lehrmeister“ für junge Künstler an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Ein markantes Kennzeichen fiel Birkholz noch auf: „die Zahl der Könige in den Stücken des Aktionstheaters ist beachtlich hoch, gleichermaßen der Anteil an Prinzessinnen…“
Bernhard Balkenhol von der Kasseler Kunsthochschule fragte scherzhaft die Ernsthaftigkeit des Aktionstheaters an: „warum sind sie immer unterwegs und nie eine Institution geworden?“ Für eine institutionelle Förderung muss man doch eine Institution sein: „wissen die das nicht?“ Doch, aber sie wollten nie ein festes Haus, nie einen Verein oder eine Organisation. Das Aktionstheater, Balkenhol, sind keine etablierten Avantgardisten, sondern Kinder und Künstler, die einfach spielen wollen…

Ein Buch zum Geburtstag und Künstler aus 40 Jahren

Die Stücke entstehen aus Bildern oder werden zu Bildern und Zülchs sind frei geblieben und dass man heute in jedes Theater ohne Schlips und Abendkleid geht, ist das Ergebnis eines Wandels, an dem die „Freien Theater“ mitgewirkt haben. Apropos Bilder: zum Geburtstag haben sich Zülchs selbst und ihren Freunden ein Geschenk gemacht. Ein Buch mit Bildern und Geschichten über 14.600 aktive Tage als Theater.
Das Rahmenprogramm war wie das Theater selbst. Ein eindrucksvoller und ausdrucksstarker Tanz von Mareike Steffens zur Buchpräsentation, Performance mit und ohne Zülchs, ein kleines Feuerwerk auf dem Bahnsteig, Musik, Licht, Sekt und Leckeres. Eingeladen waren Freunde, Wegbegleiter und alle, die schon einmal oder öfter bei Programmen des Aktionstheaters mitgewirkt haben, wie Wilhelm Grimm (Schauspieler Stefan Becker | Kassel) oder Sissi (Musicaldarstellerin Karin George | Frielendorf) (rs)

Von Frank Booth

Freier Autor

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