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Interview mit Joy Denalane | (c) Bennie Julian Gay
Interview mit Joy Denalane | (c) Bennie Julian Gay

Joy Denalane, mit ihrer einzigartigen Soulstimme, gehört zu den erfolgreichsten Sängerinnen Deutschlands. Die gebürtige Berlinerin hat kürzlich ein neues Album mit dem Titel »Willpower« (dt. Willenskraft) veröffentlicht und ist damit aktuell auf Tour. Im Interview mit Reinhard Franke spricht die 50-Jährige über ihr neues Album, den Verlust ihres Vaters, eigene Willenskraft – und ihren Ehemann, Sänger Max Herre.

Joy Denalane im Interview

Reinhard Franke: Sie haben mit „Willpower“ ein neues Album veröffentlicht. Ein weiteres auf Englisch.

Joy Denalane: In meiner Diskografie gibt es ein ganz gut ausgewogenes Verhältnis zwischen englisch- und deutschsprachigen Alben. Die englische Sprache war die erste musikalische Sprache für mich. Ich habe mir viele Platten meines Vaters angehört. Es gab bei uns Zuhause keine deutschsprachige Musik.

Natürlich habe ich die neue Deutsche Welle mitbekommen, aber meine musikalische Erziehung in der Kindheit und Jugend war eine englisch sprachige. Also alles, was popkulturell relevant war, war englisch. Die Ausnahme war mein Berliner Kinderchor. Dieses Genre, das ich bediene, ist im weitesten Sinne Soulmusik.

Und es gibt keine deutschsprachigen Beispiele, an denen ich mich orientieren kann. Ich muss es immer wieder neu erfinden. Es gibt aber natürlich Künstler:innen, die immer mehr Soulmusik machen. Mein letztes Album „Let Yourself Be Love“ war sehr Retro-Soul gab es in der Form in Deutschland nicht. Es ist manchmal schwierig für mich mit der deutschen Sprache.

Joy Denalane | (c) Ulricke Rindermann
Joy Denalane im Interview: „Mein Lachen war weg“ | (c) Ulricke Rindermann
Sie wurden vom legendären Motown-Label unter Vertrag genommen. Das kann auch keine andere deutsche Künstlerin von sich behaupten. Und das ist ein Prädikat, auf das Sie stolz sind.

Darauf bin ich natürlich sehr stolz. Es gab einfach wenig Orientierung in Deutschland. Also habe ich immer versucht nach bestem Wissen und Gewissen Musik zu machen, die mir besonders sehr nah liegt. Dass dann so ein Label auf mich zukommt, hat mich sehr gefreut. Motown war dann die perfekte Heimat für mich.

Mein Lachen war weg

Joy Denalane
Auf was beziehen Sie den Albumtitel Willpower?

Die Willenskraft per se ist eine Eigenschaft, die ich schon sehr früh in mir selbst erkannt habe. Und die Willenskraft ist ja jetzt auch keine Kraft, die ständig agiert. Sie kommt immer erst dann zum Zug, wenn sie verlangt wird, wenn etwas nicht rund läuft oder wenn man mit großen Entscheidungen alleine da steht.

Das letzte Mal Gebrauch machte ich von ihr nach dem Tod meines Vaters. Ich empfand so tiefe Trauer, dass ich mich regelrecht in die Kreativität zwingen musste.

Albumcover: Willpower von 
Joy Denalane | (c) Four Music Local (Sony Music)
Albumcover: Willpower von Joy Denalane | (c) Four Music Local (Sony Music)
Wie ging es weiter?

Ich zwang mich hinter die Trauer zu schauen und in Form eines Songs zu orten, wo ich innerlich stand. Rausgekommen ist dabei der Song „Happy“.

Der Song „Happy“ dreht sich speziell um Ihren Vater.

Richtig. Das war eine echte Aufgabe. Ich wusste gar nicht, wie ich da rangehen sollte. Es hat sehr lange gedauert, bis ich zu dem Song einen Zugang gefunden habe.

Haben Sie da auch mal ein Tränchen verdrückt?

Beim Schreiben selbst nicht. Ich kann über sehr intime Dinge schreiben und schaffe es aus mir herauszutreten und mich zu beobachten. Ich bin dann wie eine Wissenschaftlerin oder Analytikerin. Nicht immer sind die Songs meine Geschichten. Mal ist es persönlich, an vielen Stellen ist es das aber auch nicht.

War das die düsterste Phase für Sie?

Es war die unglücklichste Phase in meinem Leben. Düstere Momente gibt es immer mal wieder. Ich habe mich gefühlt wie Tim Thaler. Mein Lachen war weg. Ich war über mich selbst erschrocken. Doch die Zuversicht ist ein weiterer Motor in meinem Leben.

Und sie war irgendwie immer da. Die Zuversicht ist nicht verloren gegangen. Ich stehe morgens gerne auf und stelle mich dem Tag. Ich kenne viele Menschen in meinem Umfeld, die sich so nicht fühlen. Im Gegenteil: Sie fürchten jeden Morgen.

Joy Denalane: „Ich empfinde das schon als Reichtum“ | (c) Bennie Julian Gay
Joy Denalane: „Ich empfinde das schon als Reichtum“ | (c) Bennie Julian Gay
Telefonieren Sie eigentlich immer noch jeden Morgen um sechs Uhr mit Ihrer besten Freundin?

Heute früh habe ich um 6.32 Uhr mit ihr telefoniert. (lacht) Eigentlich wollte sie um sechs Uhr anrufen, war mir aber nicht sicher. Ich brauche das nicht jeden Morgen, aber es ist einfach lustig mit ihr.

Ich empfand so tiefe Trauer

Joy Denalane
Wie schwer fällt es Ihnen, Zuversicht in Ihren Liedern zu verspüren, wenn Sie auf die aktuelle Lage in der Welt blicken?

Die Lage in der Welt ist ja immer sehr angespannt. Und mir geht es häufig nicht gut damit. In meiner Musik finde ich Zuversicht und Hoffnung.

Sie mussten viel Trauer bewältigen. Wie befreiend war die Arbeit am neuen Album?

Der Verlust meines Vaters ist ein Ereignis, das zum Glück nicht oft vorkommt, aber wir müssen ständig mit gewissen Themen fertig werden. Ob es unsere eigenen Dämonen sind, Dinge, die täglich in der Welt vor unseren Augen geschehen. Jede Konzentration auf die Kunst hilft dabei das Chaos im Kopf ein Stück weit zu ordnen.

Gab es einen schönen Moment mit Ihrem Vater, was die Musik betrifft?

Oh ja. Mein Vater hat mir im Auto einmal Billie Holiday vorgespielt, da war ich 14. Er sagte: ‚Als ich so alt war wie du jetzt, da gehörte sie zu unseren Stars. Fortan habe ich Billie Holiday nicht mehr nur als E- und Jazz-Musiker wahrgenommen, sondern schlicht als Pop-Ikone ihrer Zeit. Der beste Song, den mein Vater und ich zusammen gesungen haben, war „Nature Boy“ von Nat King Cole.

Wie wichtig war Max in dieser unglücklichen Phase?

Er war natürlich wichtig für mich, aber Trauer kann etwas sehr persönliches sein, das nicht immer teilbar ist. Ich war froh, dass er da war.

Ihre beiden Kinder sind flügge geworden. Wie schwer ist es, dass sie ausgezogen sind?

Es war gar nicht so schwer. Es war eher positiv, weil ich mich freue, wenn meine Kinder ihren Weg gehen. Ich wünsche mir, dass sie stabil im Leben stehen. Da wächst man auch rein. Und ich freue mich, dass sie den Schritt in die Welt wagen.

Joy Denalane im Interview: „Die Zuversicht ist nicht verloren gegangen“ | (c) Bennie Julian Gay
Joy Denalane im Interview: „Die Zuversicht ist nicht verloren gegangen“ | (c) Bennie Julian Gay
Sie haben mal gesagt ‚Ich bin nicht dafür angetreten, um reich zu werden‘. Was ist für Sie Reichtum?

Reich im Sinne von monetär reich zu werden, war nie mein Motiv. Für alle Musiker:innen kann es nicht das Grundmotiv sein, reich zu werden. Denn dafür ist dieser Beruf zu vielen Risiken ausgesetzt. Geld macht natürlich frei, aber ich komme aus einer Familie, in der der monetäre Reichtum nicht so im Vordergrund stand.

Die Zuversicht ist nicht verloren gegangen

Joy Denalane
Einer Ihrer größten Reichtümer ist doch sicherlich auch, wie Sie und Max es nach der Trennung damals wieder hinbekommen haben. Oder?

Die Trennung ist natürlich eine ernstzunehmende Zäsur in unserer Beziehung gewesen. Aber auch der geringste Teil. Der größte Teil ist das Zusammensein. Wir sind 1999 zusammengekommen. Wir sind über 20 Jahre ein Paar und waren nur mal zwei Jahre getrennt. Ich empfinde das schon als Reichtum. Wir haben uns immer noch sehr viel zu sagen. Es ist weiter hoch spannend mit Max, weil wir immer weiter im Gespräch bleiben.

Seit 2002 landen Ihre Platten regelmäßig an der Spitze der Charts. Werden Sie da cooler nach dem Motto ‚Was soll da noch schief gehen?‘

Das kann man so nicht sagen. Es ist keine gute Zeit für die Musik, weil wir in der Zeit des Streamings leben. Und das ist natürlich ein großes Problem für die Musik, also für die Kunst. Alle rennen nur noch den Playlisten hinterher. Wenige Künstlerinnen können vom Streaming leben.

Hat es Sie traurig gemacht, dass es erneut eine Krise gab? Eigentlich war die große zehnjährige Krise doch Lehre genug.

Damals war die Krise viel schlimmer. Da ging es um Leben und Tod. Hätten wir uns damals in diesem Grunge-Strudel weiter treiben lassen und wären in diesem Größenwahn weiter unterwegs gewesen, dann wäre es wirklich gefährlich geworden.

Ich empfinde das schon als Reichtum

Joy Denalane
Seit der Wiedervereinigung haben Sie fünf Studioalben veröffentlicht. Diese Phase dauert jetzt länger als die erste. Wie würden Sie beide Phasen vergleichen?

Die erste Phase kommt mir tatsächlich länger vor, weil das war ein ganz anderer Planet als der, auf dem wir jetzt sind. Wir waren damals echt jung, und die Seele war noch gar nicht richtig bereit. MTV und VIVA haben uns verrückt gemacht.

Alle haben unseren Hit gesungen. Unsere Single hieß damals „Wir werden uns wiedersehen“ und wir haben sie zum Schluss als Zugabe nochmal gespielt. Da waren wir etwa einen Meter über dem Boden. Das war das schönste Live-Erlebnis von Joy Denalane. Es war eine unglaubliche Magie. Weil wir neu zusammen waren und geheilt. Und die Leute kamen, um zu sehen, ob es wahr ist.

Albumcover: Gleisdreieck von 
Joy Denalane | (c) Nesola Universal Music (Universal Music)
Gleisdreieck von Joy Denalane | (c) Nesola Universal Music (Universal Music) | Albumcover | Hier bei Amazon anhören oder als MP3 kaufen

Autor: Reinhard Franke

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Von Wildwechsel

Online-Redaktion des Printmagazin Wildwechsel. Wildwechsel erscheint seit 1986 (Ausgabe Kassel/Marburg seit 1994). Auf Wildwechsel.de veröffentlichen wir ausgewählte Artikel der Printausgaben sowie Artikel die speziell für den Online-Auftritt geschrieben wurden.

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