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Das Kulturzelt Kassel schließt. Bosse war im Sommer 2018 noch im Kulturzelt in Kassel dabei. (Foto: Nina Stiller)
Das Kulturzelt Kassel schließt. Bosse war im Sommer 2018 noch im Kulturzelt in Kassel dabei. (Foto: Nina Stiller)

Nach 32 Jahren und weit über tausend Konzerten schließt das Kulturzelt Kassel nach einem intensiven Sommer 2018 seine Pforten und plant laut seiner Stellungnahme vom 27.09.2018 bei Facebook keinen Kulturzelt-Sommer 2019 mehr.

In den letzten 32 Jahren konnte Publikum im Kulturzelt verschiedenste Künstler sehen, hören und genießen. Ein Highlight in diesem Jahr war beispielweise der Auftritt von Bosse, dessen Album „Engtanz“ im Jahr 2016 in Deutschland auf Platz 1 kletterte. Mehr als einmal waren die 17 Hippies mit ihrer Mischung osteuropäischer Melodien und Rhythmen mit französischem Chanson und amerikanischer Folkmusik sowie Seven aus der Schweiz. In diesem Sommer war fast jeden Abend was los im Kulturzelt, wenn Acts wie Nightmares On Wax, Moop Mama, Bukahara und Tom Walker.

„Wir konnten in den vergangenen drei Dekaden viel bewegen, von dem wir im Jahr 1994 nicht geahnt hätten, dass es in Kassel so gut funktioniert. Vielleicht sehen wir uns in einem anderen Format wieder, das Sommerfestival im Zelt wird zukünftig nicht mehr von unserem Trägerverein betrieben.“

Grund für diese Entscheidung sind laut dem Veranstalter geänderte Rahmenbedingungen und die Befürchtung finanzieller Schwierigkeiten:

„Wir reagieren damit auf die Rahmenbedingungen in der Stadt Kassel und das Risiko für unseren Trägerverein, die eine Fortführung auf dem von uns gezeigten Niveau nicht weiter ermöglichen. Die Unterstützung der Stadt, sowohl ideell als auch materiell ist seit Jahren nicht in dem Maße, in dem es angemessen und nötig gewesen wäre, gewährleistet und uns als gemeinnützigem und nicht kommerziellem Verein ist es zukünftig nicht möglich, ohne ein adäquates Engagement der Stadt das Festival solvent und auf seinem hohen künstlerischen Standard weiterzuführen.

Wir geben das Festival als wirtschaftlich noch gesunder Trägerverein auf und verabschiedeten den Sommer 2018 mit einem Programm, das zu den Besten der langen Kulturzelt-Geschichte gehört und um das Kassel von anderen Städten beglückwünscht wird. […] Die formalen Rahmenbedingungen sind allerdings jedes Jahr repressiver geworden. Einer institutionellen Förderung, die sich seit DM Zeiten nicht erhöht hat (um genau zu sein: seit 1994), stehen Auflagen im Schallschutz, bei den technischen Anforderungen, Infrastrukturkosten, Personalkosten und Sicherheitsaspekten entgegen, die bisher unter schwierigen, selbstausbeuterischen und riskanten Bedingungen von uns getragen und realisiert werden konnten, um die wirtschaftliche Situation des Vereines stabil zu halten.

Wir gehen auch, weil Selbstausbeutung Grenzen hat und Arbeit mit und von Kultur die gleiche Wertschätzung erfahren muss, wie jede andere auch. Auch für eine freie Kulturinstitution sind Rechte und Sicherheit sowie Vertrauen in die staatlichen Institutionen Grundbedingungen einer vernünftigen und erfüllenden Arbeit.“

Der Verein dankt allen Unterstützern

Wehmütig blickt der Verein zur Förderung von Kultur- und Kommunikationsprojekten e. V., der das Festival seit 1994 veranstaltet und organisiert hat,in seiner Stellungnahme zurück:

„Wir blicken auch mit Wehmut auf drei Dekaden Festival zurück, und danken all den vielen Menschen und Institutionen, die uns unterstützt haben und die Idee des Sommerfestivals zu ihrer eigenen gemacht haben. Nämlich die Idee, in einem relativ intimen Rahmen mit hervorragenden Produktionsbedingungen erstklassige MusikerInnen vorzustellen und dazu einen Ort der Begegnung und Kommunikation fast mitten in der Stadt zu schaffen. MitarbeiterInnen sind zu Freunden geworden, Firmen zu Vertrauensinstitutionen. Hier danken wir besonders der Wintershall, ein solch vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis mit einem Sponsor ist sicher selten anzutreffen. Wir danken all unseren Gästen, unseren Förderern, unserem Verein und unseren Freunden, die das Festival begleitet haben. Und natürlich allen Bands, MusikerInnen und Agenturen, mit denen wir erfolgreich zusammenarbeiten durften.“

Der Konzertbau „steht der Stadt Kassel  für die Weiterführung des Festivals zur Verfügung“

Um eine Weiterführung des Festivals zu ermöglichen, stellt der Trägerverein der Stadt Kassel in seiner Stellungnahme den Konzertbau zur Verfügung:

„Gerne stellen wir den Konzertbau der Stadt Kassel zur Verfügung. Die Stadt Kassel hat das Kulturzelt bis 1993 selbst veranstaltet und wir haben uns das Festival von der Stadt nur geliehen. Nun geben wir eine formidable Konzerthalle statt eines kleinen Zirkuszeltes zurück. Der Konzertbau ist sicher eingelagert und wir würden es sehr begrüßen, wenn die Stadt Kassel das Sommerfestival wieder in eigener Trägerschaft veranstaltet oder einen anderen Träger findet. Unsere Kompetenzen stellen wir natürlich gern auch weiterhin zur Verfügung, als Veranstalter wird unser Verein in Rechtsform jedoch nicht mehr fungieren können.“

Die Kasseler Kulturdezernentin Susanne Völker wehrt sich gegen Kritik

„Mit großem Bedauern und ebenso großer Verwunderung habe ich heute Morgen durch eine online veröffentlichte Stellungnahme davon erfahren, dass der Verein zur Förderung von Kultur- und Kommunikationsprojekten gem. e.V. die Trägerschaft für das Kulturzelt Kassel mit sofortiger Wirkung abgibt“, sagt die Kasseler Kulturdezernentin Susanne Völker. Das Kulturzelt habe sich als feste und beliebte Größe im Kasseler Kulturkalender etabliert. Ein sehr gutes Programm und regelmäßig ausverkaufte Konzerte seien dafür ein eindrucksvoller Beleg.

„Vor diesem Hintergrund hat mich ebenso wie die Verwaltung diese Entscheidung sehr überrascht. Mit Blick auf das tatsächliche finanzielle und ideelle Engagement der Stadt Kassel kann von mangelnder Kooperation keine Rede sein“, so Völker. Eine seit dem Jahr 2000 unverändert hohe institutionelle Förderung von jährlich 15.340 Euro, wurde 2017 auf 27.340 Euro erhöht und in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder durch finanzielle Zuschüsse in einer Gesamthöhe von 387.000 Euro ergänzt.

Durch diese Sonderzahlungen wurden Programme zusätzlich gefördert, Defizite ausgeglichen, Schallschutzmaßnahmen finanziert und der Ankauf eines neuen Zelts im Jahr 2010 mit 300.000 € unterstützt. „Gerade der Ankauf dieses 500.000 Euro teuren neuen Konzertbaus, an dessen Finanzierung sich auch die Firma Wintershall, die Kasseler Sparkasse sowie die Sparda Bank beteiligt hatten, habe zur Zeit der weltweiten Finanzkrise und eines zweistelligen Millionendefizits der Stadt Kassel viel Kritik ausgelöst. Die Stadt habe ihr großzügiges finanzielles Engagement für das Kulturzeltfestival als ein klares Bekenntnis zur Kultur verteidigt“, erinnert die Kulturdezernentin.

Nachdem dem neuen Kulturdezernat seitens des Trägervereins signalisiert wurde, dass eine Erhöhung der Förderung für den Fortbestand des Kulturzelts notwendig sei, wurden Mittel in der gewünschten Höhe von zusätzlich 42.660 Euro zur Defizitabdeckung in den Haushalt 2019 eingeplant und dies den Betreibern des Kulturzelts entsprechend mitgeteilt. Gleichzeitig wurde das Kulturzelt seitens des Ordnungsamt aktiv dabei unterstützt, die in den vergangenen Jahren immer höher werdenden Sicherheitsvorkehrungen für öffentliche Veranstaltungen mit einem vergleichsweise geringen finanziellen und administrativen Aufwand umzusetzen.

„Hätte ich mir gewünscht, das man direkte Gespräch  gesucht hätte“

„Vor diesem Hintergrund einer jahrelangen, kooperativen Zusammenarbeit und der Bedeutung, welche die Stadt Kassel dem Kulturzelt beimisst, hätte ich mir gewünscht, dass die Verantwortlichen mit ihren Bedenken das direkte Gespräch mit uns gesucht hätten anstatt mit einer finalen Entscheidung und unberechtigten Vorwürfen an die Adresse der Stadt an die Öffentlichkeit zu gehen“, kritisiert Völker. Dafür hätte es bei zahlreichen Zusammentreffen im Rahmen von Kulturveranstaltungen, wie beispielsweise der Kulturzelteröffnung oder der Museumsnacht vielfach Gelegenheit gegeben. (Quelle: Pressemitteilung von Donnerstag, 27. September 2018)

Online-Reaktionen

Die Fans und Freunde des Kulturzelts reagieren traurig und mit Bestürzung. Viele können sich Kassel ohne das Kulturzelt nicht mehr vorstellen und loben die Veranstalter für ihre Arbeit:

So schreibt Jenny Meyer* bei Facebook: „Oh nein! Kein gespanntes Warten mehr auf das neue Sommerprogramm, keine genialen Konzerte mehr in der wunderschönen Location, kein Feierabendwein im tollen Biergarten…. ich kann mir keinen Sommer ohne Kulturzelt vorstellen!“

Beate Schmidt will das vorläufige Ende des Kulturzelts Kassel nicht einfach akzeptieren: „Oh nein, wie traurig! Ich kann es noch garnicht glauben und denke gleichzeitig, da muss man doch noch was machen können?! !!! Ihr habt uns soviele wunderbare Sommer in Kassel geschenkt, dafür an dieser Stelle DankeDankeDanke! Ich hoffe sehr, das eure jetzige Entscheidung etwas anstößt, was doch noch zur Rettung des Kulturzelts führt. Ich wäre dabei!!“

„Ohhhweeee der Sommer in Kassel wird um so vieles ärmer sein. Danke Euch, für die letzten 32 Sommer trotz allem. Viele Viele Viele schöne Erinnerungen zu denen nun an der Drahtbrücke wohl vorerst keine mehr hinzukommen werden. Danke den Initiatoren, den Sponsoren, den Organisatoren, der Künstlern und nicht zuletzt den vielen Helfern. Viele werden Euch vermissen.“ bringt Volker Müller sein Bedauern zum Ausdruck.

Viele machen die Stadt Kassel für die Entscheidung des Trägervereins verantwortlich.

So zum Beispiel Marie Grün: „Sehr schön zu sehen, dass die Stadt Kassel sich ihrem Motto mal wieder treu geblieben ist: >Macht kaputt, was gut ist und sich bewährt hat<. Bin da schon echt auf die Ausrede von Herrn Geselle gespannt- man weiß ja mittlerweile, dass er vor allem durch seine grenzenlose Phantasie von sich reden macht….“

Diese Ansicht vertritt auch Ben Becker: „Die Stadt Kassel wird nicht aufhören bis das letzte Event, die letzte inhabergeführte Gastronomie und sonstige lieb gewonnenen Einrichtungen durch Ihre Auflagen zerstört sind.“

Boris Kurz ruft den Oberbürgermeister der Stadt Kassel zum Handeln auf:Da ist ja hoffentlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Jetzt ist die Stadt am Zug! Herr Geselle übernehmen Sie!“

HNA äußerte sich kritisch gegenüber den Kulturzelt-Machern

Es gibt jedoch auch andere Stimmen, die sich durchaus kritisch zu der Entscheidung der Veranstalter äußern. So berichtet die HNA am 27.09.2018 auf ihrer Seite, dass die Kulturdezernentin Susanne Völker, wie alle anderen Verantwortlichem in Rathaus erst durch die Stellungnahme bei Facebook über die Entscheidung des Vereins informiert wurden. Laut HNA reagierte die Kulturdezernentin mit großer Verwunderung und sagte, dass das Budget für das Kulturzelt von 27.340€ in diesem Jahr auf 70.000€ im kommenden Jahr 2019 aufgestockt werden sollte.

In einer Pressemitteilung der Stadt Kassel vom 27.09.2018 heißt es: „>Mit Blick auf das tatsächliche finanzielle und ideelle Engagement der Stadt Kassel kann von mangelnder Kooperation keine Rede sein<, so Völker. Eine seit dem Jahr 2000 unverändert hohe institutionelle Förderung von jährlich 15.340 Euro, wurde 2017 auf 27.340 Euro erhöht und in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder durch finanzielle Zuschüsse in einer Gesamthöhe von 387.000 Euro ergänzt.

Durch diese Sonderzahlungen wurden Programme zusätzlich gefördert, Defizite ausgeglichen, Schallschutzmaßnahmen finanziert und der Ankauf eines neuen Zelts im Jahr 2010 mit 300.000 € unterstützt. >Gerade der Ankauf dieses 500.000 Euro teuren neuen Konzertbaus, an dessen Finanzierung sich auch die Firma Wintershall, die Kasseler Sparkasse sowie die Sparda Bank beteiligt hatten, habe zur Zeit der weltweiten Finanzkrise und eines zweistelligen Millionendefizits der Stadt Kassel viel Kritik ausgelöst. Die Stadt habe ihr großzügiges finanzielles Engagement für das Kulturzeltfestival als ein klares Bekenntnis zur Kultur verteidigt<, erinnert die Kulturdezernentin.

Nachdem dem neuen Kulturdezernat seitens des Trägervereins signalisiert wurde, dass eine Erhöhung der Förderung für den Fortbestand des Kulturzelts notwendig sei, wurden Mittel in der gewünschten Höhe von zusätzlich 42.660 Euro zur Defizitabdeckung in den Haushalt 2019 eingeplant und dies den Betreibern des Kulturzelts entsprechend mitgeteilt. Gleichzeitig wurde das Kulturzelt seitens des Ordnungsamt aktiv dabei unterstützt, die in den vergangenen Jahren immer höher werdenden Sicherheitsvorkehrungen für öffentliche Veranstaltungen mit einem vergleichsweise geringen finanziellen und administrativen Aufwand umzusetzen.“

Der Verein zur Förderung von Kultur- und Kommunikationsprojekten e. V. bleibt in seiner Stellungnahme optimistisch und verspricht seinen Fans:

„Wir sehen uns an anderer Stelle wieder und schauen, welche neue Ideen Wirklichkeit werden können.“

» Die Homepage vom Kulturzelt Kassel

» Das Kulturzelt bei Facebook

» Die Stadt Kassel

» Zur Homepage von Bosse

» Die Homepage der 17 Hippies

» Zur Homepage von Seven

» Die Homepage von Nightmares On Wax

» Die Homepage von Moop Mama

» Die Band Bukahara

» Zur Homepage von Tom Walker

» Zum Online-Artikel der HNA

Alle mit * gekennzeichneten Namen wurden von der Redaktion geändert.

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