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Kannenberg mit "Schüler"
Lothar Kannenberg mit „Schüler“ aus dem Erziehungscamp in Diemelstadt-Rhoden

Er wurde als Kind vom eigenen Vater missbraucht, rutschte später in die Frankfurter Bahnhofs-Szene ab, wurde alkohol- und drogenabhängig. Mit 35 Jahren diagnostizierten die Ärzte Krebs bei ihm und heute leitet der Hessenmeister im Boxen eines der bekanntesten Erziehungscamps für jugendliche Problemfälle! Die Rede ist von Lothar Kannenberg, der ein Erziehungscamp in Diemelstadt-Rhoden betreibt.

„Zu uns kommen Jugendliche, die keiner mehr will.“

„Zu uns kommen Jugendliche, die keiner mehr will. Oft haben sie bereits viele Erziehungseinrichtungen durchlaufen, bevor sie hier landen“, sagte der 50-Jährige gegenüber dem Ww. Im November 2006 zog das Camp, was vorher im Gut Kragenhof in Staufenberg war, nach Diemelstadt-Rhoden um. Dort bewohnt das Team der Jugendhilfeeinrichtung eine frühere Schulungsstätte für Forstwaldarbeiter. Anfangs gab es viele Vorurteile und Berührungsängste gegenüber dem Trainingscamp. Nach einiger Zeit zeigten sich die Menschen jedoch zugänglicher und interessierter an der Arbeit des Camps.

Viel Platz für das knochenharte Training hat das Team, bestehend aus Respekttrainern (so nennen sich die Trainer, die selbst ähnliche Brüche wie die Jugendlichen im Leben erlebt haben und sich dadurch bei den Kids Respekt verschaffen), Sozialpädagogen, Therapeuten, Erziehern und Handwerkern.

Das Areal besteht aus neun Häusern, einem geräumigen Küchen und Essenssaal sowie zwei Schlafhäusern. Außerdem gibt es ein Aufenthaltsgebäude, ein Schul- und Bürogebäude, eine Box- und Sporthalle sowie eine Schreinerwerkstatt und ein Schlaf- und Wohnhaus für die Mitarbeiter. Richtig auspowern können sich die Jungs auf dem hauseigenem 13.500 m² großen Gelände. Unterm Strich also jede Menge Platz!

[quote]Langer Entwicklungsprozess![/quote]

Wer beim Gedanken an die Einrichtung an ein amerikanisches Boot-Camp denkt, hat weit gefehlt! Kannenbergs Methoden sind zwar hart, sollen aber gleichzeitig ein familiäres Umfeld schaffen, was die wenigsten Jugendlichen kennen. Anders als beim amerikanischen „Vorbild“ werden die Jugendlichen mental nicht erst gebrochen, um sie wieder aufzubauen. Doch wie kommt man auf die Idee so ein Camp zu errichten? „Das ist ein langer Entwicklungsprozess gewesen“, sagte Lothar Kannenberg.

„Bei meinem Boxcamp habe ich festgestellt, dass es nicht viel bringt, wenn die Jugendlichen nicht über Nacht bleiben, weil sie schnell wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückfallen. Dann habe ich Erziehungsheime quer durch Deutschland besucht und gesehen, dass viele Jugendliche, die liegen geblieben sind auch liegen gelassen werden! Da dachte ich gleich ‚genau die will ich haben und ihnen helfen wieder auf die Beine zu kommen‘!“

Wir schaffen es!

Bis zu 20 Jungs können gleichzeitig an dem Training teilnehmen, was meistens 6 Monate läuft. Allen voran steht der Leitsatz: „Wir schaffen es!“ Dieses Motto sollen sich die Jungs zu Herzen nehmen, denn es ist in der Regel ihre letzte Chance, sich von ihrem alten Leben zu verabschieden. Diebstahl, Raub, schwere Körperverletzung, sogar versuchter Totschlag und vor allem Drogen- und Alkoholmissbrauch bestimmen den Lebenslauf der Camp-Zöglinge. Außer Mord gibt es kaum eine Straftat, die sie nicht verübt haben! Das Ziel der Erziehungsmaßnahme ist es einen geregelten gewaltfreien Alltag zu schaffen.

Erziehungscamp in Diemelstadt-Rhoden ! Durchs Leben boxen!
Bilder aus dem Erziehungscamp in Diemelstadt-Rhoden | Durchs Leben boxen!

Ein zentrales Thema ist der Sport, allem voran das Boxen. Denn bei dem Faustsport können die kriminellen Kids ihre Aggressionen abbauen.Sie lernen hart für das zu kämpfen, was sie erreichen wollen und dabei fair und teamfähig zu bleiben. Als Team zu arbeiten fällt den meisten Jugendlichen sehr schwer, da sie dabei auch Schwächen zeigen müssen. Die Idee: Wer an seine körperlichen Grenzen geht, muss sich intensiver mit sich selbst beschäftigen und baut durch sportliche Erfolge das Selbstbewusstsein auf!

Wenn sich das Verhalten eines Jugendlichen gefestigt hat, steht das so genannte „Grabritual“ an. Er muss mit seiner Vergangenheit abschließen und negative Gegenstände wie Briefe oder Drogen symbolisch begraben! Zu vielen Kids hat der Camp-Chef heute noch Kontakt. „Oft melden sie sich und berichten, dass sie jetzt ihren Hauptschulabschluss machen oder ähnliches. Aber sie rufen auch an, wenn sie Probleme haben“, erzählte Kannenberg. Der Erfolg gibt den Erziehungsmaßnahmen des 50-Jährigen Recht. Die Erfolgsquote liegt bei über 80 Prozent. Normale Erziehungseinrichtungen haben durchschnittlich eine Erfolgsquote von 30 bis maximal 50 Prozent!

Für seine Erfolge bekam der gebürtige Hanauer im Sommer 2005 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Auch die Medien berichten regelmäßig über das Kannenberg-Camp. Im Februar startete die sechsteilige Doku „Erziehungscamp – Jugendliche kurz vor Knast“ auf RTL II und auch bei Günther Jauchs „Stern TV“ war der Durchs-Leben-Boxer zu Besuch!

Ursprünglich veröffentlicht im Wildwechsel 11-2007

» www. durchboxen.de

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Von Wildwechsel

Online-Redaktion des Printmagazin Wildwechsel. Wildwechsel erscheint seit 1986 (Ausgabe Kassel/Marburg seit 1994). Auf Wildwechsel.de veröffentlichen wir ausgewählte Artikel der Printausgaben sowie Artikel die speziell für den Online-Auftritt geschrieben wurden.

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