
An diesem Morgen gingen ihm die Zeilen von diesem jungen Herrn Faber nicht mehr aus dem Schädel: „Ich ha probiert mich Sälber z’si/Ich ha gmerkt ich bin es Arschloch. Jetzt wo ich en Andere bi/Bini eifach meega Happy…“
Er hatte so oft bewiesen…
Er hatte so oft bewiesen, dass er ein Arschloch war, dass er damit seine guten Eigenschaften kastrierte, konterkarierte, in sich eine also Juxtaposition einnahm, die auch seine Liebe zerstörte. Ach, wie gern würde er ihr sagen, was ihm alles leidtut und warum. Aber sie hat sich – womit? mit Recht! – in ein anderes Sternensystem verabschiedet.
Seine innere Stimme meldete sich und ahmte vom Duktus her seinen vermaledeiten Bruder nach. Sie erinnerte ihn daran, dass es doch schon diesen einen Kniefall vor ihr gab. Fast wie bei Willy Brandt seinerzeit. Danach beantwortete er ihre Fragen, war dabei endlich schonungslos ehrlich – gerade, weil er nicht mehr um ihre Liebe, die Fortsetzung der Beziehung oder um den Erhalt seines Egos kämpfte.
Er hatte den Blues…
Vielleicht merkte sie, dass da mehr Liebe drinsteckte als in vielem, was er sagte, tat oder sein ließ. Vielleicht aber auch nicht. So oder so: Er hatte den Blues, so viel stand fest. Seit er gestern endlich den Thermomix gereinigt und transportgerecht im Vorwerk-Karton und den Plastiktüten verpack hatte, war sein Katzenjammer gewachsen. Im Gegensatz zu Faber war er also nicht »Mega Happy«, und er wusste auch nicht, ob er zwischenzeitlich ein anderer geworden war.
Für ihn ging es darum, das Positive einzusetzen, um das Arschloch in ihm zu bekämpfen. Nun drehten sich seine Gedanken sich im Kreise, wie das Kettenkarussell »Wellenflieger« auf der Fürther Kirchweih. Das schraubte sich erst dreistufig in die Höhe und – oben angekommen – neigte es sich zur Seite.
Als Kind fuhr er oft damit…
Als Kind fuhr er oft damit und hatte jedes Mal das Gefühl, es würde zusammen mit ihm umkippen und mit Schmackes auf die Nürnberger Straße fallen. So fühlte er sich im Moment: Die Gedanken spielten »Wellenreiter«. Der Unterschied war nur, dass er seinerzeit abschätzen konnte, wie lange er immer wieder in Schräglage geriet und wann das Karussell stillstand.
Er kannte die Lieder. Wenn zum Beispiel »Marble Breaks And Iron Bends« lief, dann stand er nach drei, vier Minuten mit wackligen Beinen auf der Straße. Das konnte er überstehen, und das wollte er auch aushalten.
Es klingelte. So früh am Morgen? Wer, beim Teutates, mochte das sein? Eigentlich war er grad nicht in der Stimmung, das wissen zu wollen. Aber er ging dennoch zur Haustüre. Durch die Milchglasscheibe sah er eine kleine Frau in einer dunklen Jacke. „Zeugen Jehovas sind es schon mal nicht, die kommen immer zu zweit“, dachte er, hielt es aber möglich, dass sich ein zweiter Zeuge irgendwo versteckte.

Es klingelte. So früh am Morgen? Wer, beim Teutates, mochte das sein? Eigentlich war er grad nicht in der Stimmung, das wissen zu wollen. Aber er ging dennoch zur Haustüre. Durch die Milchglasscheibe sah er eine kleine Frau in einer dunklen Jacke. „Zeugen Jehovas sind es schon mal nicht, die kommen immer zu zweit“, dachte er, hielt es aber möglich, dass sich ein zweiter Zeuge irgendwo versteckte.
So konnte man nichts ahnende Bürger prima in die Irre führen…
Denn so konnte man nichts ahnende Bürger prima in die Irre führen. Und ehe man wusste, wie einem geschah würde einem das Märchen von dem Paradies erzählt, in dem Löwen friedlich und vermutlich satt neben Schafen im Gras herum chillten.
Was aber, wenn der Zweite nur verschlafen hatte, weil niemand daran dachte, ihm rechtzeitig ein dreifach donnerndes „Erwachet!“ ins Ohr zu rufen? Dann würde der keuchend angerannt kommen und sich wie ein »Wachturm« neben die Glaubenskollegin stellen.
Grüß Gott, ich bin Sandra Maischberger!
Er öffnete die Tür. Die Frau holte jedoch keinen zweiten Menschen mit auf den Abstreifer. Stattdessen stellte sie sich mit „Grüß Gott, ich bin Sandra Maischberger. Ich komme wegen des Thermomixes, den Sie auf eBay verkauften.“ Richtig, gestern, nach dem Ende der Auktion, hatte er mit ihr telefoniert.
Dabei erzählte sie, dass sie wirklich wie »die Frau aus dem Fernsehen« heißen würde und überdies auch genauso alt wie diese, aber eben nicht mit ihr verwandt sei. Er fand das irgendwie logisch. Denn es war kaum vorstellbar, dass die Maischbergers in den 1960er Jahren gleich zwei ihrer Töchter mit dem Namen »Sandra« bedachten. So phantasielos konnte man gar nicht sein.
Das ist nicht nötig…
„Soll ich ihnen den Karton in den Kofferraum heben?“, fragte er. „Das ist nicht nötig“, sagte sie durch ihre rote Maske hindurch. Darauf waren kleine weiße Hunde abgebildet. Die hielten vermutlich keine Aerosole ab, sahen aber süß aus. Wenn sie sprach, sprangen die Wuffis lustig herum. Aber leider drehte sie ihm rasch den Rücken zu und wuchtete den Thermomix in ihr SUV. Der Karton passte locker in ihren Opel Mokka.
Sie wollte schon einsteigen und losfahren, da fiel ihm ein, was er beinahe vergessen hätte: „Moment, ich habe noch etwas für sie!“ Auf der kleinen Kommode im Flur, also dort, wo sich früher die Sonnenbrillen und der Autoschlüssel der ehemaligen Liebespartnerin befanden, hatte er bereits gestern die USB-Sticks mit den Kochbüchern bereitgelegt.
„Das sind alle Rezeptsammlungen, die wir dazugekauft haben. Die schenke ich Ihnen.“
„Das ist wirklich sehr nett! Herzlichen Dank. Sind denn auch vegane Gerichte dabei?“
„Oh ja, wir haben einige davon ausprobiert. Der Weihnachtsgans-Ersatz aus Purpurtang schmeckt zwar eklig, aber Tofu Romanoff und der vegane »Leberkäs Hawaii« sind ein Gedicht!“
Dann war sie verschwunden…
Dann war sie verschwunden, wie so vieles vor ihr. Mit ihr ging auch der Thermomix. Möge er es guthaben, dort, wo sich von nun an seine Rührschüssel drehte und dabei gently vor sich hin weept. An dem Ding hing bis vor kurzem nicht nur angebrannter Schmodder, sondern eben auch seine Ex. Er würde so ein Gerät nicht mehr benutzen.
Im Moment wollte er überhaupt nicht kochen, noch mal nicht vor Wut. Der Thermomix war weg, und er spürte, wie sich mit diesem Abgang eine gewisse Erleichterung einstellte. Es war, als würde ihm eine Last von der Schulter genommen.
Aber vielleicht täuschte das auch – und er war einfach nur besser drauf als noch vor wenige Augenblicken. Das mochte sein, so etwas gab es bei ihm öfter mal. »Situatives Manischsein« nannte er das, wenn ein einziger Moment, ein Lied, eine Passage in einem Buch, ein Panel in einer Donald--Duck-Geschichte seine Traurigkeit ins Gegenteil verkehrte.
Das sind die wirklich kostbaren Momente…
Dann konnte es vorkommen, dass er plötzlich zu »San Francisco« von den Village People tanzte, bis die virtuellen Wände von »Tiktok« wackelten. Das geschah auch, wenn er an das dachte, was sie ihr »Herumhühnern« nannte. Oder daran, wie sie ihm ihren Lieblingswanderweg von Obereinherz zum Einsiedlersee zeigte. Das sind die wirklich kostbaren Momente.
Es gab Tage, da konnte er spielend zwischen besinnlicher Melancholie und sinnlicher Lebensfreude hin und wieder zurück switchen. Letztlich war das gut so, wie schon der alte Hippopotamus wusste: Dessen »Vier-Säfte-Lehre« besagt nämlich, dass ein Übermaß an schwarzer Galle zu Trübsinn, also zu Melancholie führt.
Manchmal schoben sich zwischen Trauer und Lebensfreude aber auch noch andere Gefühle, es ist ja genug Platz zwischen den Extremen. Zum Beispiel Ärger, wenn sein Bruder wieder am Telefon nervte. Wie jetzt als die Freude über den von ihm gegangenen – beziehungsweise gefahrenen – Thermomix sich in Nichts auflöste.
Vielleicht sollte ich doch…
Als sein Bruder anrief, zeigte die Uhr gerade erst 10:24. „Vielleicht sollte ich doch mal wieder vor Wut kochen?“, dachte er kurz – und dann ergab er sich seinem Schicksal.
„Ach? Du gehst ran? Bist Du schon vom Gottesdienst zurück?“, fragte er.
„Sieht so aus!“, antwortete ich.
„Muss eine ziemlich kurze Predigt gewesen sein,“ sagte er.
„Sieht so aus!“, antwortete ich.
„Ich dachte, Du würdest gern erfahren, dass ich die Lösung für Deine Probleme habe“, sagte er, Ich bekam nur ein unwirsches Grunzen heraus, und das klang eher nicht nach dem Schäfchen, das in Schatten des immer satten Löwen döste.
„Was heißt das denn? Ach, egal, ich werde jetzt ins Detail gehen.“
„Sieht so aus!“, dachte ich noch und legte das Telefon sacht auf den Wohnzimmertisch.
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Manfred Prechers »Fundamentalteilchen« – die Kolumne
- Manfred Prescher: Fundamentalteilchen 18 – Bleibt alles anders feat. Brandão Faber Hunger
An diesem Morgen gingen ihm die Zeilen von diesem jungen Herrn Faber nicht mehr aus dem Schädel.
- Manfred Prescher: Fundamentalteilchen 17 – Alte Freunde, neue Zeiten feat. Ina Müller
Ich hatte Nick diese Aufkleber besorgt. Sie stammten noch aus meiner Radiozeit und wusste nicht, dass es sie noch gab.
- Manfred Prescher: Fundamentalteilchen 16 – Der Winter steht vor der Tür feat. Deine Freunde
Ich zapfte mir den zweiten Espresso des Morgens und wunderte mich.
- Manfred Prescher: Fundamentalteilchen 15 – Das ewige Kommen und Gehen feat. Ava Vegas
Ich schlief in dieser Nacht ziemlich fest, aber ich wachte mit einem Brummschädel auf… (Kolumne von Manfred Prescher)
- Manfred Prescher: Fundamentalteilchen 14 – FCK 2020 feat. Scooter
Mein Bruder zog schon immer ganz eigene und unberechenbare Schlüsse aus allem und jedem.
Manfred Preschers »Fundamentalteilchen« – die Youtube Playlist
- Manfred Prescher & Günther Fischer: Nur noch kurz die Welt retten – Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte
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