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Auch das Theater Paderborn hat sich mit der Spielzeit 18/19 aus den sozialen Medien zurück gezogen. Warum, das erklärte Pressesprecherin Karolin Dieckhoff dem Wildwechsel in einem exklusiven Interview.

Wissen Sie wann ihr Nachbar schlafen geht? Facebook wird es wissen. Und wo er letztes Jahr im Urlaub übernachtet hat? Fragen Sie Google.

Im Umgang mit Datenkraken wie Facebook hat sich mittlerweile viel Frust und Unsicherheit ausgebreitet. Für immer mehr Benutzer ist die Konsequenz: Rückzug. So nicht nur an prominenter Stelle für Robert Habeck, sowie für das Theater Paderborn. Auch der Österreichische Rundfunk und Selena Gomez haben sich beispielsweise schon zurückgezogen.

Was passiert mit unseren Daten im Internet? Da es darauf keine sichere Antwort gibt, ziehen sich viele Nutzer aus den sozialen Medien zurück.
Was passiert mit unseren Daten im Internet? Da es darauf keine sichere Antwort gibt, ziehen sich viele Nutzer aus den sozialen Medien zurück.

„Jeder weiß es“

So Karolin Dieckhoff, Pressesprecherin des Theaters Paderborn. Und damit meint sie eigentlich: Jeder weiß, dass er nichts weiß: Es ist bekannt, dass Facebook und Co. mit unseren Daten dubiose Dinge tun, wir aber nicht wissen, welche genau. Shit-Storms und Pöbeleien sind allgegenwärtig, aber keiner weiß, was man dagegen tun kann. Dass unsere Daten leicht geklaut werden können, ist spätestens seit dem letzten Daten-Leak von gut 1000 Personen des öffentlichen Lebens bekannt. Heilmittel? Kennen wir nicht.

Deswegen hat das Theater Paderborn mit Beginn der Spielzeit 2018/2019 den mutigen Schritt komplett aus den sozialen Medien heraus gewagt. Und das umfasst vieles: Regelmäßige Posts auf Instagram und Facebook in Form von Texten, Videos und Bildern.

Bei Facebook hat das Theater regelmäßig gezeigt, was abgeht. Jetzt wird nur noch auf der eigenen Internetseite veröffentlicht. Auslöser sei vor allem der Daten-Skandal um Cambridge-Analytica und die US-Wahlen gewesen.

Direkter Kontakt zu Menschen bevorzugt

„Social Media ist ein Werkzeug, um sich selbst ein Image zu erschaffen. Das Tool fehlt an manchen Stellen, aber im Kartenverkauf merken wir das nicht“, so Dieckhoff weiter. Stattdessen wolle man direkt mit den Menschen in Kontakt treten, zum Beispiel durch Präsenz an der Uni und theaterpädagogische Angebote, die Lust auf Theater machen sollen.

Auch Robert Habeck hat diese Woche verkündigt, er habe Angst in den Spiegel zu schauen. Seine Tweets waren oft zorngeladen, haben ihm viel Kritik eingebracht. Jetzt will er sich aus den sozialen Medien zurückziehen, sich nicht selbst sehen und erschrocken sein. Grund war neben der jüngsten Veröffentlichung von privaten Daten, zum Beispiel dem Chat-Verlauf Habecks mit seiner Frau, auch der Umgangston im Netz.

Zu viel Selbstdarstellung

Der berühmte Narziss sah auch in den Spiegel. Naja, in einen Teich. Danach tötete er sich, weil das Wasser in Bewegung kam und sein Bild verzerrte. Ähnlich wirken Twitter und Co.: Wie alle Medien geben sie nicht ein klares Bild von uns, sondern eine Darstellung von uns – diese ist naturgemäß immer verzerrt.

Gleichzeitig stört Habeck laut eigener Aussage die mithin aggressive und polemische Kommunikation in den sozialen Medien. Soziale Netzwerke, so Habeck, würden ihn zu aggressiver Kommunikation verleiten. Das an sich ist schon ein Paradoxon: Soziale Medien. Wie können denn Medien, vor allem die vernetzten des Internets, sozial sein?

Warum soziale Medien nicht sozial sind

Hinter Facebook und Twitter steht ein Algorithmus, der anhand unserer Likes und unseres Verhaltens im Web bestimmt, wann wir was und wo sehen. Woher dieser seine Informationen bezieht, an wen diese weitergegeben werden und wie dieser zur gezielten Einsetzung von Werbeanzeigen genutzt werden, ist völlig offen.

Niemand weiß das. Niemand. Wahrscheinlich nicht einmal Zuckerberg selbst, ist so ein Algorithmus doch meist mehrere hundert bis tausend Seiten lang und die Mitarbeiter kennen nur Teile davon.

Wenn Medien sich verselbständigen

Besonders besorgniserregend: Moderne Algorithmen können sich selbst verbessern und Lösungen finden, die wir nicht mehr verstehen. Das geht so: Man gibt dem Algorithmus ein Ziel, zum Beispiel eine möglichst lange Verweildauer des Nutzers auf einer Website, eine hohe Interaktion mit Werbeanzeigen, was auch immer.

Die Parameter, also die Faktoren mithilfe derer der Algorithmus den News-Feed berechnet, sind dynamisch. Der Algorithmus probiert also millionenfach aus, was die besten Werte bringt. Und kommt so letztendlich zu einer ominösen Zauberformel, die wenn überhaupt sehr schwer nachzuvollziehen ist.

Technik ersetzt das Menschliche

Und sich nicht darum schert, ob die Faktoren ethisch einwandfrei oder vielleicht diskriminierend und sexistisch sind. Wo früher Journalisten für uns ausgesucht haben, was wir sehen, tut es nun eine Technik aus Einsen und Nullen. Das ist alles andere als sozial.

Facebook lässt seinen Algorithmus genau das berechnen, jedenfalls sicher im Bereich der Beiträge von Freunden und Familie. Diese Beiträge werden zwar höher priorisiert, trotzdem versucht der Algorithmus zu berechnen, welche Beiträge wahrscheinlich angeschaut werden. Was für Beiträge der Liebsten gilt, gilt auch für Anzeigen und Nachrichten.

Neben der wundervollen Chance, über Zeit und Raum hinweg mit Menschen, Freunden und Familie in Kontakt zu treten, geben uns die (un)sozialen Medien also auch riesige Aufgaben mit.

Wie verhält man sich im Netz, was wollen wir sehen und hören? Wie verhindern wir, dass die großen Internetkonzerne zu übermächtigen Datenriesen werden und wir wahrlich zu gläsernen Konsumenten degradiert?

„Wir schließen soziale Medien nicht aus“

Das Theater Paderborn geht derweil eigene Wege, zum Beispiel durch ein neues Projekt an der Uni. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik sollen Kampagnen für Spotify entwickelt werden. „Wir schließen die sozialen Medien ja nicht kategorisch aus“, erläutert Dieckhoff und erklärt weiter: „Gerade auf Plattformen mit Firmensitz in Ländern, in denen unsere Datenschutzgesetze nicht greifen, wollen wir nicht aktiv sein.“ Dazu gehören Firmen wie Facebook und Google. Diese müssen ihre Daten über deutsche Staatsbürger nicht mal herausgeben, so auch Spiegelberichten zufolge geschehen in den Ermittlungen um die Daten-Leaks von Jan Böhmermann im letzten Frühjahr.

Wenn klar wäre, was mit den Daten passiert, sei eine Rückkehr für das Theater Paderborn jedenfalls nicht ausgeschlossen. Klingt so, als wäre das Theater Paderborn noch länger nicht auf Facebook und Co. vertreten.

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Von Lukas Nickel

Freier Autor

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